14. Dezember 2022

Lärmschutz ist Gesundheitsschutz

Mein Textbeitrag im Oekoskop 4/22 der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz

Rosengartenstrasse Zürich: Wer hier wohnt, wohnt laut. Täglich fahren etwa 55'000 Autos durch. Die Strasse zählt zu den lärmigsten der Schweiz, jedes fünfte Wohngebäude wird hier mit über 69 Dezibel beschallt. 69 Dezibel, das entspricht der Lautstärke eines Rasenmähers. Diesen Lärm hört man auch bei geschlossenen Fenstern in den Wohnungen. Die permanente Lärmbelastung gefährdet die Gesundheit der Anwohner:innen.

Problematisch ist aber nicht nur der konstant hohe Lärmpegel an stark befahrenen Strassen. Auch wenige laute Fahrzeuge können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Vollgas geben beim Anfahren, hochtouriges Fahren und mit Knattertönen ausgestattete Auspuffe – all das verursacht Lärmspitzen, die aus dem Schlaf reissen und für Stress sorgen.

Strassenlärm macht krank

Dass Strassenlärm gesundheitsschädigend ist, weiss man längst und ist gut erforscht. Die Schweizer Sirene-Studie hat 2019 die schädliche Wirkung klar aufgezeigt. Lärm führt zu Schlafstörungen, einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Depressionen und kognitiven Beeinträchtigungen bei Erwachsenen und Kindern. An stark befahrenen Strassen ist das Risiko zu erkranken um bis zu 20 Prozent erhöht. An den Folgen des Lärms sterben in der Schweiz jährlich über 500 Menschen.

In der Schweiz gilt in Wohnzonen tagsüber der Immissionsgrenzwert von 60 Dezibel, in der Nacht gelten 55 Dezibel. Diverse Studien zeigen aber, dass das Risiko für Gesundheitsschäden bereits früher steigt. Die eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung (EKLB) empfiehlt deshalb in ihrem Ende 2021 erschienenen Bericht, die Schweizer Lärmgrenzwerte zu senken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt sogar noch tiefere Grenzwerte.

Die Schweiz hat ein Strassenlärmproblem

Nicht nur die Stadt Zürich, sondern die Schweiz generell hat ein Problem mit Strassenlärm. Laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) leiden über 1.1 Millionen Menschen in der Schweiz unter übermässigem Strassenlärm. Die Agglomerationszentren sind am stärksten belastet. Dort ist am Tag und in der Nacht jede dritte Person betroffen. In Städten der Romandie und im Tessin lebt die Bevölkerung noch lauter als in der Deutschschweiz. Gemäss einer 2021 durchgeführten Untersuchung der Zürcher Kantonalbank ist Genf ist die lauteste Stadt der Schweiz – dort liegt die Lärmbelastung an jeder dritten Wohnadresse über 60 Dezibel. Das Lärmproblem besteht aber auch auf dem Land, insbesondere entlang der Kantonsstrassen und an den Strassen der Voralpen und Alpenpässe. An einem schönen Sonntag zwischen April und Oktober den Balkon oder Garten benutzen? Für viele Anwohner:innen ist das unmöglich, weil dutzende Gruppen von Motorrädern mit dröhnenden Motoren vorbeilärmen.

Lärmfolgen kosten uns Milliarden

Der Strassenlärm ist nicht nur lästig und macht krank, sondern verursacht auch hohe externe Kosten. In einem im Juni 2022 erschienenen Grundlagenbericht schätzt das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) die externen Lärmkosten auf fast 2.3 Milliarden Franken pro Jahr – Tendenz steigend. Über die Hälfte davon, nämlich 1.2 Milliarden, machen Gesundheitskosten aus. Externe Kosten müssen nicht von den Verursacher:innen, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Es ist deshalb nicht nur aus Gründen des Gesundheitsschutzes, sondern auch ökonomisch gesehen unabdingbar, dass die Belastung durch Strassenlärm sinkt.

Weniger Fahrzeuge – weniger Lärm

Es ist eine Binsenwahrheit: Je mehr Fahrzeuge auf den Strassen fahren, desto lauter wird es. Die wirksamste Massnahme dagegen ist deshalb die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Das heisst: Der öffentliche Verkehr muss so attraktiv werden, dass die Menschen vom Privatauto auf Bus, Tram und Zug umsteigen. Und innerorts muss es so sicher und entspannt sein, dass sie kürzere Strecken zu Fuss oder mit dem Velo zurücklegen. Gemeinden und Kantone können dies fördern, indem sie eine Strategie der kurzen Wege verfolgen. Alsostädteplanerisch dafür sorgen, dass zwischen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Naherholung nur kurze Distanzen liegen.

Fahrzeuglärm senken

Neben der Menge der Fahrzeuge sind auch die Antriebsgeräusche am Strassenlärm beteiligt. Die Lenker:innen können mit ihrem Fahrverhalten unmittelbar Einfluss darauf nehmen, wie laut sie unterwegs sind. Die Devise heisst: Möglichst niedertourig und konstant fahren sowie abruptes Bremsen und Anfahren vermeiden. Bei einer solchen Fahrweise entstehen kaum Lärmspitzen. Als zusätzlicher positiver und dringend nötiger Effekt verbraucht man so auch weniger Treibstoff und stösst weniger CO2 aus. Gute Schallisolation kann den Lärmvon Verbrennungsmotoren reduzieren, bei Elektrofahrzeugen entfällt das Motorengeräusch weitgehend. Lärmposer wollen aber nicht auf den «satten Motorensound» ihrer Fahrzeuge verzichten, sondern verstärken ihn sogar noch. Gerade bei Motorradfans sind Klappenauspuffe sehr beliebt. PS-starke Autos verfügen über einen «Sportmodus», bei dem die Auspuffklappen geöffnet werden können und das Auto sich in ein eine röhrende Karosse verwandelt – sehr zum Schaden der Anwohner:innen. Solche künstliche Lautmacher gehören verboten.

Je langsamer, desto leiser

Bei Personenwagenhörtman bereits ab einem Tempo von 25 km/h nicht mehr den Motor, sondern vor allem die Rollgeräusche. Bei Lastwagen ist dies ab 60 km/h der Fall. Rollgeräusche oder genauer Reifen-Fahrbahn-Geräusche entstehen durch starke Schwingungen, wenn Pneus über die Fahrbahn rollen. Die Herabsetzung der Geschwindigkeit ist eine sehr effiziente, kostengünstige Massnahme, um diese Rollgeräusche zu reduzieren und den Strassenverkehr leiser zu machen. Tempo 30 verringert die Lärmemissionen im Vergleich zu Tempo 50 um etwa drei Dezibel. Das klingt nach wenig, bewirkt aber viel. Denn Lärm wird nicht auf einer linearen, sondern auf einer logarithmischen Skala gemessen. Fürs menschliche Ohr klingt deshalb eine Reduktion um drei Dezibel, als wäre nur noch die Hälfte des Verkehrs unterwegs. Weil es bei Tempo 30 auch zu weniger Lärmspitzen kommt, ist die subjektive positive Wirkung sogar noch stärker.Tempo 30 kommt deshalb auch den Bestrebungen zugut, im Siedlungsgebiet verdichtet zu bauen, was nur bei eingehaltenen Lärmgrenzwerten zulässig ist.

Leise Pneus und lärmarme Beläge

Mit der konsequenten Verwendung von lärmarmen Reifen liesse sich der Strassenlärm ebenfalls um etwa drei Dezibel verringern. Der Trend zu grösseren, schwereren Autos mit stärkeren Motoren führt aber zu breiteren und damit lauteren Reifen – auch bei Elektroautos. Hier sollte die Branche aktiv werden und schmalere, lärmarme Pneus aktiv bewerben.

Einige Kantone setzen seit mehreren Jahren konsequent auf den Einbau von lärmarmen Belägen. Deren Oberflächen weisen einen grossen Hohlraumanteil auf, was einen Teil des entstehenden Schalls schluckt. Die wirkungsvollsten Beläge erzielen im Neuzustand eine Lärmreduktion von bis zu neun Dezibel gegenüber konventionellen Belägen. Weil sie zudem vor allem hohe Töne reduzieren, werden sie subjektiv als noch leiser wahrgenommen. Allerdings: Wie herkömmliche Strassenbeläge werden lärmarme Beläge mit den Jahren etwas lauter. Um ihre Wirkung zu erhalten, müssen sie regelmässig gereinigt oder aufgefrischt werden. Zudem haben sie eine etwas kürzere Lebensdauer als konventionelle Beläge.

Fazit: Die Mischung machts

Die Gesetzgebung verlangt, dass Strassenlärm in erster Priorität dort bekämpft wird, wo er entsteht: an der Quelle. Eine Kombination aller möglichen Massnahmen scheint mir am zielführendsten:

·       Reduktion oder zumindest Plafonierung des motorisierten Individualverkehrs

·       Verbot von Klappenauspuffsystemen und künstlichen «Soundverstärkern»

·       Temporeduktionen: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit im Siedlungsgebiet, Tempo 50 als Ausnahme

·       Konsequenter Einbau von lärmarmen Belägen

·       Aktive Bewerbung von lärmarmen Reifen durch die Autobranche

·       Bevorzugung von leichten Elektrofahrzeugen gegenüber schweren Verbrennern

Eine konsequente Kombination all dieser Massnahmen würde zu einer dauerhaften Reduktion von über zehn Dezibel führen und damit zu einer Halbierung der Strassenlärmbelastung in der Schweiz. Damit könnten über eine Million Menschen von der übermässigen Strassenlärmbelastung befreit werden – ein grosser Gewinn für die Gesundheit und die Lebensqualität der Bevölkerung.

Dieser Text erschien im Oeskoskop 4/22.