Votum anlässlich der Debatte zur Nachhaltigkeitsinitiative im Nationalrat am 25.9.2025
Die SVP spricht von Dichtestress: «Die Bahnhöfe und Züge sind übervoll, die Strassen sind laufend verstopft, sogar auf Bergwanderungen steht man sich neuerdings auf den Füssen. Der Wohnraum wird knapp und unbezahlbar. Unsere Natur - Wiesen, Wälder und Felder - verschwindet immer mehr unter Beton.» – Diese Besorgnis hat Kollege Walter Gartmann von der SVP geäussert. Die SVP spricht von Dichtestress, sieht die Lösung in der Kündigung der Personenfreizügigkeit und nennt diese Lösung «nachhaltig».
Aber ist das wirklich nachhaltig? Werden mit einer Begrenzung der Einwanderung die angesprochenen Probleme wirklich behoben? Ich bin der Meinung, dass hier eine einfache Scheinlösung angeboten wird, die der Schweiz schadet, nicht nützt. Ich verzichte darauf, noch einmal im Detail zu wiederholen, warum eine Kündigung der Personenfreizügigkeit zu einer Abschottung und führt und unseren Wohlstand akut gefährdet.
Viele Probleme, die sie ansprechen, sind aufgrund unserer steigenden Ansprüche entstanden.
Ich bin in den 70er Jahren aufgewachsen, einige von Ihnen ebenfalls. Erinnern Sie sich: Welche Familie besass damals zwei Autos? So etwas konnten sich die wenigsten leisten. Wie viele Personen pendelten damals täglich zur Arbeit und wieder zurück? Die wenigsten. 1970 waren laut Statistik-Angaben 31% der Erwerbstätigen täglich am Pendeln, im Jahr 2000 knapp 58% und heute sind es über 71%. Und wissen Sie, wie diese Leute pendeln? Die wenigsten sind mit dem Zug unterwegs, die meisten mit dem Privatauto.
Herr Glarner hat gesagt, mittlerweile habe es auch am Samstag und am Sonntag Stau. Ja, weil wir ein anderes Freizeitverhalten haben. 40% der Autofahrten sind dem Freizeitverkehr zugeordnet.
Wie viele Rentnerinnen und Rentner waren in den 70er Jahren noch rüstig genug, um mit 75, 80 Jahren morgens um 7 Uhr mit dem Zug in die Berge zu fahren? Das war eine verschwindende Anzahl Menschen. Heute begegnen mir solche Seniorengruppen regelmässig bei der Fahrt zur Arbeit und zurück. Und wir sollten uns freuen, dass so viele ältere Menschen bei so guter Gesundheit sind.
Wie viele erwachsene Personen haben in den 70er Jahren alleine in einer Dreizimmerwohnung gewohnt? Fast niemand. Der Wohnflächenbedarf ist seit 1970 um über 40% gestiegen. 1970 beanspruchte eine Person durchschnittlich 30m2 Nettowohnfläche. Heute sind es 46m2.
Was ich mit diesen Beispielen zeigen will:
Wir haben heute ein anderes Konsumverhalten, ein anderes Mobilitätsverhalten als vor 50 Jahren. Aber wir brauchen heute nach wie vor Infrastruktur, die vor 40, 50 Jahren gebaut worden ist – für die Bedürfnisse der damaligen Zeit. Und wir stecken in alten Denkweisen und Verhaltensmustern. Wenn wir also die Probleme, die sie adressieren und unter «Dichtestress» subsumieren, wirklich anpacken wollen, dann müssen wir primär unser Verhalten ändern und unsere Infrastruktur fit für die Zukunft machen:
· Wir müssen uns flächeneffizient fortbewegen: In der Stadt heisst das: zu Fuss, mit dem Velo, mit dem öV – und zwar in dieser Reihenfolge. Dafür muss die richtige Infrastruktur gebaut werden: Sichere Fuss- und Radwege. Dafür müssen die Preise der Busfahrten in der Stadt stark gesenkt werden. Das sorgt dafür, dass die Leute auf den öV umsteigen. Und alles zusammen sorgt für Wohn- und Aufenthaltsqualität in der Stadt, für weniger Lärm und Dreck und wirkt erst noch gesundheitsfördernd.
· Wir müssen schauen, dass die Menschen möglichst am gleichen Ort wohnen und arbeiten. Und dass sie dort auch einkaufen können und nicht auf das Auto angewiesen sind. Dafür braucht es eine kluge Siedlungsplanung und Stadtentwicklung.
· Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitnehmenden ein Recht darauf haben, einen oder zwei Tage in der Woche im Homeoffice zu arbeiten, sofern dies von der Arbeit her möglich ist. Das würde unsere Strassen massiv entlasten und die Staus reduzieren.
· Wir müssen Alternativen zum Privatauto attraktiv machen. Das Potenzial für eine Verlagerung des Freizeitsverkehrs auf umweltfreundliche, flächeneffiziente Verkehrsmittel ist gross.
· Wir müssen mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, den gemeinnützigen Wohnungsbau fördern und endlich dafür sorgen, dass Wohnungen zur Kostenmiete plus vermietet werden, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht.
· Wir müssen das inländische Arbeitskräftepotenzial besser nutzen, indem wir für Gleichstellung und bezahlbare Kinderbetreuung sorgen, damit beide Elternteile arbeiten können; indem wir ältere Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigen und nicht vorschnell aussortieren und aus dem Arbeitsmarkt kippen.
All diese Massnahmen, meine Damen und Herren, würden dazu führen, dass wir mehr Platz auf der Strasse, im Bus und im Zug hätten. Dass unsere Unternehmen weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren würden. Dass es mehr bezahlbare Wohnungen gäbe für die verschiedenen Anspruchsgruppen. Der Platz reicht für alle – für Menschen mit und ohne Schweizer Pass. Wir müssen ihn einfach klug nutzen.
Ihre Initiative hingegen, mit Verlaub, gibt nur vor, sich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen. Sie setzt auf untaugliche Massnahmen, die unseren Wohlstand gefährden. Deshalb Nein zu dieser Initiative.