Festrede anlässlich der Bundesfeier in Uster.
(Gekürzte Version. Die Rede wurde auf Schweizerdeutsch gehalten.)
Ich danke der Stadt Uster und besonders dem Gemeinderatspräsidenten Ali Özcan herzlich für die Einladung als Festrednerin.
Was die Schweiz stark macht
Als ausgebildete Historikerin könnte ich heute über die Anfänge der Eidgenossenschaft referieren. Aber ich bin nicht als Historikerin, sondern in erster Linie als Politikerin eingeladen worden. Deshalb geht es in meiner Rede nicht primär um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart und die Zukunft. Es geht darum, was unser Land zusammenhält, stark macht und wie sich diese Stärke bis in die unterste politische Einheit, die Gemeinde, zeigt. Stabilität, Wohlstand und Frieden sind nicht einfach selbstverständlich.
Ich beginne mit unserem weltweit einmaligen politischen System. Dieses zeichnet sich durch die direkte Demokratie und durch das Konkordanzsystem aus. Es ist ein riesiges Privileg, dass wir Bürgerinnen und Bürger so aktiv an politischen Entscheidungen teilnehmen können und so oft um unsere Meinung zu politischen Geschäften gefragt werden. Und während es in anderen Staaten, etwa in den USA, alle vier Jahre mit dem Präsidentenwechsel auch zu einem radikalen politischen Kurswechsel kommt, das Steuer mal nach links, dann wieder nach rechts gerissen wird, herrscht bei uns dank dem Konkordanzsystem politische Stabilität. Bei uns sind die stärksten Parteien alle in die Regierung eingebunden. Im Bundesrat, in der Kantonsregierung und in der städtischen Exekutive muss man aufeinander zugehen und Kompromisse schmieden, sonst ist das Regieren gar nicht möglich. Diese stabile politische Struktur schafft Vertrauen und fördert den sozialen Zusammenhalt, weil sie eben möglichst alle Player und Anspruchsgruppen einbindet.
A propos direkte Demokratie: Die Feuerwerksinitiative ist konkretes Beispiel, worüber Sie wohl schon im nächsten Jahr abstimmen können. Das Abbrennen von lärmigem Feuerwerk rund um den 1. August und um Neujahr ist für viele ein grosses Ärgernis geworden. Es wird, wie ich finde, zurecht darüber diskutiert, die Knallerei einzuschränken. Ich habe gelesen, dass dieses Thema auch in Uster im Gemeindeparlament eingebracht worden ist und schon bald debattiert wird. Egal, ob Sie für oder gegen eine Einschränkung sind: Es ist doch toll, dass wir offen über dieses Anliegen diskutieren und darüber abstimmen können.
Ein weiterer Grund für die Stärke der Schweiz ist die langjährige Tradition der Neutralität. Seit über 200 Jahren bleibt die Schweiz in internationalen Konflikten neutral. Unsere Neutralität schützt uns seither vor Krieg und Konflikten und macht unser Land zu einem sicheren Hafen für Diplomatie, internationale Organisationen und Friedensarbeit.
Die Schweizer Neutralität bedeutet nicht, dass die Schweiz keine Verantwortung in der Welt übernimmt. Im Gegenteil, sie engagiert sich stark in humanitären Einsätzen, Friedensmissionen und bei der Förderung von Menschenrechten. Seit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine wird die Schweizer Neutralität im Bundeshaus heftig debattiert. Verhält sich die Schweiz neutral, wenn sie den russischen Angriff verurteilt und Sanktionen gegen den Aggressor übernimmt? Oder ergreift sie dann Partei?
Ich wage einen Vergleich aus der Fussballwelt: Schiedsrichter werden ja manchmal auch «die Unparteiischen» genannt. Sie stehen weder auf der Seite des einen, noch des anderen Teams. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Regeln, die für alle Teams gelten, auch von allen eingehalten werden. Wenn nun Team A ein Foul nach dem anderen begeht und der Schiedsrichter diese Fouls ignoriert: Ist er dann noch unparteiisch? – Sie würden sagen: Nein, natürlich nicht, sondern er würde dann indirekt Team A unterstützen. Ähnlich verhält es sich, wenn wir Verstösse gegen das Völkerrecht, das ein Land verübt, nicht klar verurteilen. Die Schweiz muss in diesem Fall klar auf der Seite des Völkerrechts stehen – sonst würde sie indirekt den Angreifer unterstützen.
Ich komme zum nächsten Faktor, der mitverantwortlich ist für die Stärke der Schweiz: dem Service public. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viele öffentliche Dienstleistungen Sie an einem einzigen Tag nutzen? Wahrscheinlich können Sie sie nicht an einer Hand abzählen. Ich nenne einige: Die Strom- und Wasserversorgung, die Kita und die Schule, die öffentlichen Strassen, die Spitäler und auch die Nachrichten im Radio und Fernsehen – sie alle gehören zum Service public. In der Schweiz ist es fast unmöglich, dem Service public zu entgehen. Sie in Uster sind ja genauso wie ich in Aarau hervorragend an den öffentlichen Verkehr angebunden. Aber auch im hintersten Bergtal gibt es einen gelben Wegweiser zur nächsten Postautohaltestelle. Der Staat stellt sicher, dass diese Leistungen in allen Regionen und allen Einwohnerinnen und Einwohnern zur Verfügung stehen. Unser Schulsystem, vom Kindergarten bis zur Uni und den Fachhochschulen, gehört nach wie vor zu den besten der Welt. Es gewährleistet, dass alle Kinder, unabhängig ihrer Herkunft oder dem Portemonnaie ihrer Eltern, gemäss ihren Fähigkeiten gefördert werden und sich entwickeln und entfalten können.
Der Service public bildet eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft – eine weitere Stärke der Schweiz. Eine gut ausgebildete Bevölkerung und eine hohe Lebensqualität ziehen Fachkräfte und Unternehmen an. Die zentrale Lage in Europa und die gute Verkehrsanbindung machen die Schweiz zu einem attraktiven Standort für Unternehmen. Wir sind als Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsstandort international vernetzt. Es ist wichtig, dass das so bleibt. Wir sind auf Importe und Exporte angewiesen. Die Abschottungspolitik und absurde Zollpolitik, wie sie die USA unter ihrem Präsidenten betreiben, kann nicht die Antwort auf die Probleme unserer Zeit sein. Im Gegenteil: Wir sind stark, weil wir gute Beziehungen zu anderen Staaten, insbesondere zu unseren Nachbarländern haben und mit ihnen Handel treiben. Unsere Wirtschaft exportiert viel in die USA. Was die horten 39% Zollsatz, die für Exporte ab dem 7. August gelten sollen, für die betroffenen Unternehmen in der Schweiz – insbesondere die Maschinen- und Uhrenindustrie – und für unseren Wohlstand bedeuten, kann man sich noch gar nicht richtig vorstellen. Die Willkür, die die US-Regierung bei den Handelskonditionen für die verschiedenen Staaten anwendet, ist schockierend und unverantwortlich und ich hoffe, dass sich doch noch eine Lösung findet.
Ich komme zu einer weiteren Stärke: die Vielfalt. Die Schweiz ist ein vielfältiges Land. Wir haben vier offizielle Landessprachen – und es wird natürlich noch in vielen weiteren gesprochen und gelacht; die Schweiz ist ein Land mit vielfältigen Kulturen und Traditionen. Der 1. August ist eine Gelegenheit, diese Vielfalt zu feiern und das Engagement für den Schutz der Rechte und der kulturellen Identität aller Minderheiten zu bekräftigen. Der Schutz von Minderheiten ist in unserer Verfassung verankert. Niemand darf diskriminiert werden. Am Nationalfeiertag sollten wir uns aber auch daran erinnern, dass Minderheitenschutz mehr ist als nur die Abwesenheit von Diskriminierung. Es geht auch darum, eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung für die unterschiedlichen Hintergründe und Perspektiven der Menschen in der Schweiz zu schaffen. Das kann auf Gemeindeebene bedeuten, dass man Minderheiten gezielt von Beginn weg in die Projektplanung einbezieht. In der Stadt Uster – das finde ich wirklich toll – berät beispielsweise eine Fachkommission Gleichstellung von Menschen mit Behinderung den Stadtrat bei Themen, die behinderte Menschen in Uster und in der Stadtverwaltung betreffen. So kann die Perspektive der Betroffenen von Anfang an in die Planung einfliessen.
Eine weitere Stärke der Schweiz ist das riesige ehrenamtliche Engagement. Es ist unglaublich, was in den Vereinen – sei es in Sport-, Kultur-, Umweltvereinen, in der Pfadi, Blauring und vielen anderen Vereinen – täglich an Freiwilligenarbeit geleistet wird. Dieses freiwillige Engagement trägt nicht zuletzt dazu bei, dass unser Milizsystem in der Schweiz funktioniert. Wertschätzung für ehrenamtliche Arbeit kommt in unserem Alltag leider oft zu kurz. Darum danke ich an dieser Stelle auch speziell all jenen, welche mitgeholfen haben, die heutige Feier auf die Beine zu stellen. Ein grosses Dankeschön, das ich sicher auch im Namen der ganzen Festgemeinde aussprechen darf! (Applaus)
Ich komme zur Solidarität, einem weiteren wichtigen Pfeiler, der die Schweiz stark macht. Vielfach nehmen wir das, was wir haben, als selbstverständlich hin – unsere Gesundheit, unseren Freundeskreis, unser Daheim, unsere Sicherheit. Aber das Leben kann sich plötzlich verändern. Ein Tag, ein Moment – und alles, was wir für selbstverständlich gehalten haben, kann verloren sein.
Für die Einwohnerinnen und Einwohner von Blatten im Kanton Wallis war der 28. Mai 2025 ein solcher Tag. Es war der Tag, an dem ihr Dorf von einem Bergsturz komplett verschüttet und zerstört wurde. Die Menschen von Blatten haben bei dem verheerenden Ereignis alles verloren. Der Bergsturz im Walliser Lötschental hat eine enorme Solidarität ausgelöst. Aus der ganzen Schweiz haben Leute gespendet, mittlerweile ist der Betrag auf 57 Millionen angewachsen. Auch aus Uster ist viel gespendet worden. Danke herzlich dafür!
Dieses Ereignis erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dankbar zu sein für das, was wir haben. Und wenn wir einmal selbst in einer schwierigen Lage sind und etwas verlieren, dann ist es umso bedeutender, dass wir auf die Solidarität und der Gemeinschaft und auf solidarisch finanzierte Sozialwerke bauen können.
Solidarität bedeutet nicht nur Spenden für den Wiederaufbau nach dem Bergsturz oder den Unwettern. Solidarität ist auch, wenn alle ihren Beitrag leisten, dass der Berg in Zukunft gar nicht erst runterkommt und die Gefahr von Hochwasser eingedämmt wird. Gemeinsam mit allen anderen Staaten müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten die Klimaerwärmung bekämpfen, von der die Schweiz besonders betroffen ist. So handeln wir vorausschauend und solidarisch auch mit den künftigen Generationen.
Ich komme zum Schluss:
Der 1. August ist ein Feiertag. Er ist aber auch ein Moment, um Danke zu sagen – dafür, in der Schweiz wohnen und leben zu dürfen. In einem Land, das Sicherheit und Schutz bietet. In einem Land, das uns demokratische Mitbestimmung ermöglicht, wo die direkte Demokratie so ausgebaut ist wie in keinem anderen Land der Welt und wo sich so viel Menschen ehrenamtlich für das Gemeinwesen engagieren. In einem Land mit einem starken Service public, in dem alle Kinder eine gute Schulbildung bekommen und das offene Handelsbeziehungen mit anderen Staaten pflegt. In einem Land leben zu dürfen, das Vielfalt als Stärke sieht und das den Solidaritätsgedanken hochhält.
Mit Blick auf die Stärken der Schweiz wünsche ich uns allen einen wunderschönen 1. August voller Dankbarkeit – und uns allen den Mut, unser Land weiterhin offen, gerecht und gemeinsam zu gestalten.